Text: Guido Schlimbach

Das Fastentuch in der Michaelerkirche

Während sich die Kunst-Station Sankt Peter in der Fastenzeit jeglicher bildenden Kunst enthält, werden die Besucherinnen und Besucher vieler anderer Kirchen gerade jetzt mit Kunstinterventionen konfrontiert. Heute blicken wir in die Michaelerkirche in Wien (Viele haben sie im "Sisi"-Film gesehen, denn dort wurde die Hochzeit des Kaiserpaars gedreht.) Für diese Barockkirche schuf der aus Tirol stammende und in Wien lebende Künstler Jakob Kirchmayr ein in vielfacher Hinsicht beeindruckendes Fastentuch. Es besteht aus etwa 20 verbrannten, geräucherten, mit Asche, Erde und Kohle abgeriebenen und dem Regen ausgesetzten Baumwolltüchern - Erde, Asche, Rauch und Kohle als färbende Medien, Feuer und Regen als transformierende Medien. Der Künstler selbst bezeichnet das Tuch als eine apokalyptische Arbeit, zugleich wunderschön.

Allein von seinen Dimensionen ist die Arbeit atemberaubend. Sie misst sechs mal zwölf Meter, dafür wurden 140 Quadratmeter Stoff gestaltet, die zahlreichen Stofffragmente wurden in Handarbeit mit 500 Metern Nähgarn zusammengfügt. Auf der Rückseite hält eine Konstruktion aus 130 Metern Seil den Stoff zusammen, denn das Gewebe wurde durch das Feuer teils stark geschwächt und ist daher recht fragil. Die Tücher wurden bewusst gerafft und geknittert - so entstand ein Bildwerk mit beinahe skulpturalem Charakter.

Der Pfarrer der Michaelerkirche, Salvatorianerpater Erhard Rauch, über das Fastentuch: "Jakob Kirchmayr hat sich überlegt, was heutzutage Fasten und Fastenzeit bedeutet. Es ist Krieg in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten. Die Menschen müssen auf verbrannter Erde inmitten Trümmern leben. Diese Menschen müssen fasten, und wir wollten das aufzeigen und in unsere Wohlstandsgesellschaft hineinbringen."

Dazu sagt Jakob Kirchmayr selbst: "Unsere Welt scheint gerade auseinander zu brechen oder an einem Wendepunkt angelangt zu sein. Wir müssen achtsam sein, dass unsere Gesellschaft nicht daran zerfällt. Es gibt so viel Unrecht und Zerstörung. Ein Künstler versucht wohl immer seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen und diese in seine Kunstwerke zu transformieren. In diesem Fastentuch sind Schmerz und Wut über die globalen Missstände zu finden - vielleicht aber auch Hoffnung, denn die vielen Fragmente, aus denen das Tuch besteht, die das Feuer verbrannte und verkohlte, wurden auch wieder zu einer Einheit zusammengefügt - jedoch erinnern mich die Nähte, wie Narben an Wunden." Gerade weil sich der Künstler mit dieser Arbeit in Beziehung zur Welt und zur Vergänglichkeit des Lebens setzt, wirkt es äußerst spirituell und inspirierend - und gerade deswegen ist sie tatsächlich apokalyptisch und ausgesprochen passend in dieser barocken Umgebung.