Text: Dr. Walter Seidl

Zwischen Expressivität und Abstraktion

Dr. Walter Seidl zur Ausstellung: JAKOB KIRCHMAYR - SCHWARZE HIMMEL VON METALL in der Galerie Ernst Hilger Wien
, Jänner 2018

 

Die Arbeiten von Jakob Kirchmayr verhandeln alltägliche sowie tagespolitische Szenarien und ihre psychosozialen Aspekte in den Medien Zeichnung und Malerei, wobei das skizzenhafte Moment der Zeichnung als übergreifende Trope in vorwiegend porträthaften Darstellungen zum Ausdruck kommt. Kirchmayr arbeitet ohne visuelle Vorlagen, wodurch in seinen Arbeiten eine gewisse Spontaneität ins Treffen geführt wird, die auf dem Papier oder der Leinwand mehrere Schichten einer unterbrochenen Linienführung hervorruft. Die Absenz einer vorgefertigten Skizze führt gleichzeitig zu einer skizzenhaften Darstellung der inhaltlich aufgegriffenen Gegebenheiten, was als Spezifikum der Arbeiten angesehen werden kann.

Durch die ledigliche Andeutung von Handlungen, Gesten und Gesichtern thematisiert der Künstler die Brüchigkeit gegenwärtiger Identitäten in einem globalen Spannungsfeld aus neoliberalen Forderungen und den Auswirkungen von Krieg und Migration. Dies betrifft in weiterer Folge die Verletzlichkeit der Seele, Traumata der Geschichte, ob auf historischer oder persönlicher Ebene – und die gedanklichen und inhaltlichen Leerräume, die sich hier auftun. Die bildliche Ebene wird oftmals von Zitaten und Textfragmenten untermauert, bei denen vorwiegend Lyrik zum Einsatz gelangt und eine schemenhafte, introspektive Geste ins Spiel gebracht wird. Dies ermöglicht nicht nur eine Erweiterung des Dargestellten auf einer sprachlichen Ebene, sondern auch die Verquickung mit persönlichen Momenten aus der Gedankenwelt des Künstlers. Die Beobachtung innerer Vorgänge bezieht sich jedoch nicht notwendigerweise auf das eigene Interaktionsfeld. Sie abstrahiert das Dargestellte und führt zu einer Öffnung der motivischen Ebene hinsichtlich ihrer literarischen bzw. universellen Gültigkeit.

Ob auf Papier oder dichtem Segeltuch, Kirchmayrs Stilmittel ist jenes der Zeichnung, das in der Fragilität der Linienführung die Verletzbarkeit menschlicher Existenz thematisiert. Obwohl scheinbar gegensätzlich, gelingt es ihm Abstraktion und Expressivität gleichzeitig auf Papier bzw. Leinwand zu bringen. Der Fokus auf flüchtige Wahrnehmungsmuster unseres Alltags zeigt sich in der Abstrahierung des Umraums, während eine Kondensation der Linien die Expressivität der handelnden Subjekte betont. An ausgewählten Stellen kommt es zu einer Verdichtung des Einsatzes von Farbe, was dem Künstler eine Akzentuierung von speziellen Bildinhalten aber auch von ephemeren Komponenten ermöglicht. Letzteres kann zur Verzerrung oder Auslöschung von Gesichtsfeldern führen, die den Individualitätsgrad der Personen in den Hintergrund stellt, jedoch eine expressive Gestikulierung ähnlich der Bilder eines Francis Bacon evoziert.

Der unterschiedliche Einsatz zeichnerischer Mittel in ihrer Dichte und Lockerheit zugleich bildet eine Debatte, die unsere Vorstellung von vorformulierten Bildern einer Medienwelt reaktiviert und die Wahrnehmung des Alltags auf den Prüfstand stellt. Die inhaltliche Aussagekraft der Bilder lässt sich im konkreten Fall nur ansatzweise ergründen und überlässt es dem Künstler, Momente der Wirklichkeit preiszugeben, in der politische Szenarien und eine Verschiebung globaler Regulierungsmechanismen von Macht gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen. Die Verwendung von Lyrik entkräftet dabei die Faktizität der Bilder und fordert Betrachter und Betrachterinnen konstant zu einem Weiterdenken sowie einer eingehenden Kontemplation heraus.