Das Fastentuch für die Michaelerkirche in Wien | 4. Februar bis 28. März 2024

Die Spuren des Feuers

Rauch
Sooß 1
Detail Sooß 3
Sooß 2
Sooß 5
Fragmente
Trocknung der Tücher

 

DIE SPUREN DES FEUERS

Ernst Hilger (Galerie Ernst Hilger, Wien) fragte mich vergangenen Sommer, ob ich Lust hätte ein Fastentuch für die Michaelerkirche in Wien zu erarbeiten. Ich war von dieser Idee angetan, wenngleich das nötige Format von etwa 6 x 12 Meter, meine größten Arbeiten um das Fünffache übersteigen würde.

Ein neues Format erfordert meist eine neue Herangehensweise und so entschloss ich mich, gänzlich auf die mir vertrauten Materialien zu verzichten.
Ich war auf der Suche nach einem Medium, das mir ermöglichte, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Beeinflusst von düsteren Zukunftsprognosen, den Wirtschaftsstrategien der großen Konzerne, dem Klimawandel, der fortschreitenden globalen Zerstörung der Natur, sowie den grauenhaften kriegerischen Auseinandersetzungen unserer Zeit, wählte ich anstelle von Stiften und Farbe schließlich Wasser und Feuer als transformierende - Erde, Asche, Rauch und Kohle als färbende Medien. Die Spuren des Feuers, apokalyptisch, wie auch wunderschön zugleich.

 

Fragment, Fastentuch

Das Fastentuch besteht aus etwa 20 verbrannten, geräucherten, mit Asche, Erde und Kohle abgeriebenen und dem Regen ausgesetzten Baumwolltüchern. Die einzelnen Fragmente wurden händisch vernäht, die Tücher bewusst gerafft und geknittert - so entstand ein Bildwerk, mit beinahe skulpturalem Charakter.

 

Detail Naht
Detail Falten
Detail Falten 3
Detail Falten 4
Detail Falten 4
Detail Falten 5

 

In einigen Teilen des deutschsprachigen Raums werden Fastentücher auch als Hungertücher bezeichnet - ein Ausdruck, der sich in der Redensart „Am Hungertuch nagen“ bis heute erhalten hat und "Mangel leiden" bedeutet. Dazu passt kein prächtig gemaltes Bild, dazu passt weder Schönheit noch Glanz - viel eher die Auseinandersetzung mit den einfachen Dingen, mit Bescheidenheit, Liebe oder Verzicht.

Unsere Welt scheint gerade auseinanderzubrechen, oder an einem Wendepunkt angelangt zu sein und wir müssen achtsam sein, dass unsere Gesellschaft nicht daran zerfällt. Vieles ist düster und macht mich traurig oder wütend, es gibt so unglaublich viel Unrecht und Zerstörung. Verfolge ich die Medien, dann empfinde ich Schmerz. Ein Künstler versucht wohl immer seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen und diese in seine Kunstwerke zu transformieren. In diesem Fastentuch sind somit auch Schmerz und Wut über die globalen Missstände zu finden - vielleicht aber auch Hoffnung, denn die vielen Fragmente, aus denen das Tuch besteht, die das Feuer verbrannte und verkohlte, wurden auch wieder zu einer Einheit zusammengefügt - gemeinsam mit geflüchteten Menschen - jedoch erinnern mich die Nähte, wie Narben an Wunden.

Denkt man an den Überfluss der uns umgibt und die Glücksversprechen, mit denen uns die Industrie zum Konsum verführt, so ist der Standort der Michaelerkirche, am Beginn des Kohlmarkts, der ideale Ort für ein Fastentuch - eine Arbeit, die für mich, etwas dystopisch zwar, aber doch die Gegenwart abbildet.

"Wir sterben lieber aus, als auf Überfluss zu verzichten", las ich unlängst in einem Interview mit Peter Sloterdijk und ich befürchte fast, der Philosoph könnte mit dieser Einschätzung richtig liegen. Nimmt man das Fasten wörtlich, dann geht es um Verzicht. Vielleicht liegt der Schlüssel zum Glück in der Einfachheit der Dinge, sowie in deren Reduktion.

Jakob Kirchmayr, Jänner 2024

 

 

Beiträge in den Medien:

DIE PRESSE, 25. Februar 2024
Augen-Fasten? Nicht mit diesen Tüchern! Text: Almuth Spiegler
Mit ästhetischer, aber auch biblischer Wucht nimmt das neue Fastentuch in der Wiener Michaelerkirche sich seinen Raum, sehr viel Raum. Es verhängt nicht nur den Hochaltar, sondern trennt gleich den ganzen barockisierten Chorraum ab: Sechs mal zwölf Meter messen die in schwere Falten gelegten, teils verkohlten Tücher, die der Tiroler Maler Jakob Kirchmayr hier aufgespannt hat. Was ist das nur? 

BEZIRKS ZEITUNG
Wiener Spaziergänge: Michaelerkirche, März 2024

ZEITUNG DER ARBEIT
Ein Besuch der Michaelerkirche in Wien, März 2024

PUBLIK-FORUM
Durch Brandlöcher hindurchden Glanz erblicken, März 2024

PARNASS, Februar 2024
Am Aschermittwoch 2024 wird das Fastentuch Jakob Kirchmayrs in der Wiener Michaelerkirche präsentiert. Seine bisher größte, skulpturale Arbeit setzt ein Feuer-Zeichen. Es gilt endlich achtsamer mit unserer Gegenwart umzugehen!

HEUTE, 21. Februar 2024
Darum hängt in Michaelerkirche jetzt ein dreckiges Tuch
In der Michaelerkirche in der Wiener Innenstadt hat man sich heuer für ein besonderes Fastentuch entschieden. Die Meinungen darüber sind gespalten.

BEZIRKSFLASH, Montag, 19. Februar 2024
Innere Stadt: Polarisierendes Fastentuch
In der Michaelerkirche sorgt ein ungewöhnliches Fastentuch für Diskussionen.

RADIO WIEN, Montag, 19. Februar 2024
Das Fastentuch in der Michaelerkirche sorgt für Aufregung

Wien.orf.at, Montag, 19. Februar 2024
Das etwas andere Fastentuch

ORF WIEN HEUTE, Sonntag, 18. Februar2024
Reaktionen auf das Fastentuch in der Michaelerkirche - das Fastentuch in der Michaelerkirche in der Wiener Innenstadt scheidet derzeit die Geister. Es besteht aus zwanzig verbrannten Baumwolltüchern und soll den Zustand der Welt widerspiegeln. Gestaltet wurde es vom Tiroler Künstler Jakob Kirchmayr.

ORF SEITENBLICKE, Donnerstag, 15. Februar 2024
Fastentuch Präsentation - in der Michaelerkirche in Wien wurde im Zuge der Aschermittwoch-Liturgie das von Jakob Kirchmayr gestaltete Fastentuch präsentiert. 140 Quadratmeter Stoff, die zum Teil verbrannt und löchrig sind, sollen den Menschen die derzeitige Situation der Welt vor Augen führen.

 

Zitate:

Ein Anblick der Staunen macht, Text: Klaus-Jürgen Bauer