Schwarze Himmel von Metall
Die Schwere der Texte steht in reizvollem Widerspruch zur skizzenhaften und doch expressiven Linienführung des Künstlers.
Als ich die Galerie Ernst Hilger im ersten Stock eines Wiener Altbaus in der Dorotheergasse betrete, werde ich gleich von dem in Wien lebenden Künstler, Jakob Kirchmayr, in Empfang genommen. Ehe ich mich versehe, halte ich ein Glas Weißwein in der Hand und lausche Jakobs Erörterungen, während er mich durch seine Einzelausstellung führt.
Der Titel der Ausstellung: „Schwarze Himmel von Metall“ (16. Januar – 10. Februar 2018), eine Textzeile, entliehen aus dem Gedicht “Winterdämmerung” von Georg Trakl. In diesem Gedicht verarbeitete der österreichische Dichter die Schrecken des ersten Weltkrieges, die er, als Militärapotheker, aus unmittelbarer Nähe erfahren musste. Die daraus evozierenden Angstzustände und Depressionen haben ihn bis zu seinem frühen Tod im November 1914 nicht mehr losgelassen.
Zitate und Textpassagen aus Georg Trakls Gedichten finden sich auf beinahe allen gezeigten Arbeiten von Jakob Kirchmayr. Die Schwere der Texte steht in reizvollem Widerspruch zur skizzenhaften und doch expressiven Linienführung des Künstlers.
Als wir die Räumlichkeiten der Galerie erkunden, fällt mir zunächst die angenehm unaufdringliche und punktuell eingesetzte Beleuchtung der Kunstwerke auf – eine willkommene Abwechslung zu der sonst so gerne gebrauchten, blendend weißen Leuchtquelle, die oft mehr an einen sterilen Operationssaal erinnert. In diesem Licht kommt auch das Ultramarinblau, das schon Yves Klein zu verzaubern vermochte und dem auch Jakob verfallen zu sein scheint, besonders gut zur Geltung.
Ich stelle fest, dass einige Papierarbeiten zwar eingerahmt, aber von keiner Scheibe abgegrenzt werden. Als ich Jakob nach dem Grund frage, erklärt er mir, dass auf diese Weise ein unmittelbares Bilderlebnis, eine beinahe haptische Erfahrung, bei der Betrachtung erreicht werden könne. Die Dreidimensionalität des von vielen Malschichten und Feuchtigkeit verformten und vom Hintergrund abstehenden Papiers, wird durch die Beleuchtung und die Entstehung von Schatten zusätzlich verstärkt.
Als ich mich einem Bild, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog, zum zweiten Mal annähere, weckt ein Detail mein Interesse. Das auf Segeltuch konzipierte Gemälde mit dem Titel “Dunkle Deutung des Wassers“, stellt einen nackten Mann, umgeben von drei überlebensgroßen Fischen mit weit aufgerissenen Mäulern und kreisrunden Augen dar. Ein ebenso rundes Element findet sich im Gesicht des Mannes wieder. Jedoch nicht in Augenhöhe, wo man es noch am ehesten erwarten würde, sondern versetzt, etwas weiter unten. Als ich den Künstler frage, was es dort zu suchen habe, erwidert er mit stoischer Gelassenheit, dass es eine Wange wäre – jedoch die Abstraktion des Gesichts eine bewusste Täuschung des Betrachters herbeiführe, da man den Kreis automatisch mit einem Fischauge assoziiere.
Einnehmend an Jakobs Arbeiten sind jene versteckten Symbole und Botschaften, die sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick erschließen. Wer es zu glauben vermag, wird ganz bald eines Besseren belehrt. Die integrierten Literaturzitate und Textpassagen zwingen zum Nachdenken und erlauben dem Betrachter, sich durch die Vielschichtigkeit der Arbeiten lediglich ganz langsam vorzutasten, bis dann doch, nach dem zweiten oder dritten Mal Hinschauen der befriedigende Moment erreicht ist, ab dem sich die Zusammenhänge zu erschließen beginnen.
So leicht und skizzenhaft die Bilder auf den ersten Blick erscheinen mögen, thematisiert der Künstler die aktuellen gesellschaftspolitischen Spannungsfelder, Krieg und Migration. Die Verletzlichkeit der menschlichen Existenz, wie es Walter Seidel über Jakobs Kunst gesagt hat, wird uns in seinen Arbeiten stets vor Augen geführt.
Das Weinglas geleert, geht auch die Führung zu Ende. Auf dem Weg hinaus gratuliere ich Jakob nochmals zu seiner Einzelausstellung und Herrn Hilger zur meisterhaften Beleuchtung. Ich mache mich auf den Nachhauseweg – die runden Fischaugen lebhaft in Erinnerung.